Konferenzbericht | PRAGESTT 2012

PRAGESTT – Die zweite internationale Studierenden-Tagung in Prag (Karls-Universität, 16.-17. März 2012)

Viktorie Hanišová
(in: Brünner Hefte zu Deutsch als Fremdsprache 1/2012, S. 62-70)

Einleitung (Veranstalter, Förderer, Teilnehmer und Ziele der Tagung)

Nach dem großen Erfolg der ersten PRAGESTT-Konferenz 2011 wurde am 16. und 17. März 2012 in den Räumlichkeiten des Instituts für Germanische Studien der Philosophischen Fakultät der Karls-Universität bereits der zweite Jahrgang der Prager Germanistischen Studierenden-Tagung veranstaltet. So wie im letzten Jahr war Ziel der Konferenz, eine internationale wissenschaftliche Plattform für junge Germanistik-Studierenden anzubieten, an der sie ihre Bachelor-, Magister- sowie Dissertationsarbeiten im Bereich der älteren und neueren Literaturwissenschaft, synchronen und diachronen Linguistik, Translatologie sowie DaF-Didaktik vorstellen und Anregungen von den anderen Teilnehmern bei der nachfolgenden Diskussion sammeln könnten. Die Veranstalter haben diesmal Beiträge von zirka vierzig Studierenden aus zwanzig europäischen Universitäten angenommen. Unter den Teilnehmern waren Studierende aus Tschechien, Polen, Deutschland, Ungarn, Slowakei, Österreich, Slowenien, aber auch aus Großbritannien und Georgien.

Die Tagung wurde finanziell und materiell durch die Philosophische Fakultät der Karls-Universität Prag, den Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD), das Österreichische Kulturforum (ÖKF), den Hueber-Verlag, den Fraus-Verlag, die Freundschaft-Zeitschrift, die tschechische Akademie der Wissenschaften (Ústav pro českou literaturu AV ČR), das Goethe-Institut, die deutsche sowie die österreichische Botschaft in der Tschechischen Republik und das Prager Literaturhaus gefördert.

Das Programm wurde durch die Grußworte von Prof. Ivan Jakubec, Prorektor für Doktorprogramme und akademische Qualifikationen der Karls-Universität Prag, Dr. Ferdinand Trauttmansdorff, Botschafter Österreichs in der Tschechischen Republik, Dr. Detlef Lingemann, Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in der Tschechischen Republik sowie Dr. Vít Dovalil und Prof. Manfred Weinberg, Leiter und stellvertretender Leiter des Instituts für Germanische Studien eröffnet.

In allen vier Grußworten wurde die Nützlichkeit der Deutschkenntnisse in Tschechien, aber auch in anderen europäischen Staaten betont. In diesem Zusammenhang wurde auch der beunruhigende Trend im Deutschunterricht in Tschechien angesprochen (laut dem BRD-Botschafter hat sich die Zahl der Deutschlernenden in der Tschechischen Republik seit den 90er Jahren halbiert) und auf verschiedene Kampagnen und Motivationsprogramme hingewiesen, die diesen Trend umkehren wollen.

In Ihrem Eröffnungsvortrag mit dem Titel Was kann eine gute moderne Philologie eigentlich wirken? hat Dr. Alice Stašková aus der Freien Universität Berlin die Notwendigkeit der Philologie in der heutigen am Wohlstandswachstum orientierten Gesellschaft. Philologie soll zwar kein unmittelbares messbares Nutzen bringen, ihre Aufgabe sei trotzdem sehr wichtig, denn zusammen mit Philosophie soll sie Menschen lehren zu zweifeln. Weiterhin hat Stašková die Position der Philologie als eine Disziplin hervorgehoben, die mit Texten arbeitet und in konkreten Kontexten denkt. In diesem Zusammenhang wurde auch die Rolle der Auslandgermanistik erwähnt, für die regionale Themenbereiche besonders wichtig sind. Nach Stašková ist die Auslandgermanistik ein genügender Partner für die Philologie in deutschsprachigen Ländern.

Nach dem Eröffnungsvortrag ging es in die einzelnen Sektionen. Die Vorträge der Teilnehmer wurden jeweils zu dritt in dreizehn Themenbereiche aufgeteilt, wobei zwei Sektionen parallel verliefen.

Erster Teil der Tagung (Freitag)

In der Sektion Literatur – Macht – Kulturen wies Matthew McCarthy-Rechowicz (Oxford) in seiner Präsentation Der Einfluss des Gesellschaftsvertrags auf Grillparzers „Sappho“ auf den politischen Belang dieses Theaterstücks hin. In diesem Vortrag wurden bisher ungeachtete oder ungenügend geachtete Aspekte von Grillparzers Künstlerdrama ans Licht gebracht, womit ermöglicht wurde, die volle Komplexität desselben und der Figur der Sappho wahrzunehmen. Im Zentrum des Vortrags standen die Fragen der weiblichen Herrschaft in Sappho. Es wurde auch nachgewiesen, dass Grillparzers Lektüre von Hobbes, Locke und Rousseau zum Thema Gesellschaftsvertrag seine Darstellung von Sappho als Regentin von Mytilene stark beeinflusst hat.

In seinem Vortrag Sprache und Macht in der deutschen und russischen Literatur nach dem Sozialismus skizzierte Manuel Ghilarducci (Münster) das Verhältnis zwischen Sprache und Macht in der deutschen und russischen Literatur nach dem Zusammenbruch der DDR und der UdSSR. Nach der Erläuterung der Begriffe „Macht“ und „Sprache“ hat Ghilarducci die Ergebnisse seiner komparativen Analyse der Werke von beispielsweise Gert Neumann, Kurt Drawert, Thomas Brussig, Vladimir Sorokin und Dmitrij Levkin präsentiert.

Im Fokus des Vortrags „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“: Erzähltyp und Märchenfilm in deutscher und tschechischer Rezeption von Steffen Retzlaff (Dresden) stand der gleichnamige deutsch-tschechische Film aus den 70er Jahren. Mittels einer Reflexion der Tradierung von Märchenstoffen und dem Vorgang der medialen Adaptation zeigte Retzlaff, welche Kommunikationsangebote der Film allgemein und kulturspezifisch macht.

In der Sektion Soziolinguistik beschäftigte sich Lucie Vávrová (Praha) in ihrem Vortrag Deutsch als Wissenschaftssprache in der Tschechischen Republik mit dem aktuellen Thema der Stellung der deutschen Sprache als Wissenschafts- und Publikationssprache in Tschechien. Es wurde konstatiert, dass Deutsch in den Natur- sowie Geisteswissenschaften in der Tschechischen Republik erst den dritten Platz belud, und zwar weit hinter dem Englischen und Tschechischen. Diese Schlussfolgerung basierte u.a. auf der Analyse von insgesamt 165 wissenschaftlichen Zeitschriften, die in der Tschechischen Republik erscheinen.

Eka Narsia (Tbilisi) thematisierte in ihrem Beitrag Verständlichkeit der Textsorten im Bankwesen am Beispiel von Kontoeröffnungen Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Fachtextsorte Kontoeröffnungsvertrag der deutschen, schweizerischen und georgischen Bankhäuser.  Gegenstand der Untersuchung waren die sprachlichen und außersprachlichen Faktoren, die das Auftreten von Verständigungsproblemen beeinflussen.

Das Thema der Sektion 3 lautete Bilder des Fremden. In ihrem Beitrag Kulturelle Fremd- und Selbstbilder im Spiegel der deutschsprachigen historischen Regionalpresse aus der Steiermark: Das Bild der slawischen Kulturen analysierte Anja Urekar (Maribor) die Medialisierung der slowenischen sowie anderer in der Habsburgermonarchie vertretenen Kulturen. Als Korpora dienten die Marburger Zeitung (Maribor) und das Grazer Tagblatt aus der ersten Dekade des 20. Jahrhunderts. Die medialisierten Kulturbilder wurden auf ihre Identität und Alterität, ausgehend von der Klassifikation des Fremden von Ortfried Schäfter und der Fremdheitstypologie von Ort, Besitz und Art nach Bernhard Waldenfels untersucht.

In ihrem Beitrag Sozialdarwinistische Rechtfertigungsstrategien im kolonialen Kontext: Gustav Frenssens Peter Moors Fahrt nach Südwesten und Hans Grimms Volk ohne Raum beschäftigte sich Imke Rösing (Freiburg) mit dem Sozialdarwinismus als mentalitätsgeschichtliches Phänomen und seiner Bedeutung für die Rassentheorien. Die Analyse der zwei genannten Texte zeigte, dass trotz radikal unterschiedlicher Entwürfe der Kolonialisierung afrikanischer Gebiete offenbaren Peter Moors Fahrt nach Südwest und Hans Grimms Volk ohne Raum deutlich sozialdarwinistisches Gedankengut, das im Sinne des ‚Kampfes ums Dasein’ beziehungsweise ‚Kampfes um Raum’ den ‚tüchtigeren Deutschen’ eine Rechtfertigung zur Vernichtung der Schwarzen beziehungsweise der Besiedlung ihres Landes geben sollte.

Im Fokus der vierten Sektion waren die Tendenzen der deutschen Gegenwartssprache. Der Beitrag Zum Gebrauch und zur grammatischen Beschreibung der allgemeinen reflexiven Zustandsformen von Lucie Svobodová (Praha) konzentrierte sich auf die Konzeptualisierung und Beurteilung der Standardsprachlichkeit einer in den Kodizes noch nicht voll beschriebenen grammatischen Struktur anhand einer empirischen Korpusanalyse mit einem virtuellen Korpus aus IDS-Mannheim.

Im Zentrum des Beitrags von Andrea Frydrychová (Ústí nad Labem) stand Die Aufnahme von Neologismen (Anglizismen) in die Mundart. Untersucht wurde der Einfluss der englischen Sprache auf die obersächsische Mundart. Es hat sich gezeigt, dass der Einfluss von Englisch als Lingua Franca auch auf den Bereich der Mundarten in der letzten Zeit erheblich zunimmt.

Anna Wiktorek und Aleksanda Żukovska (Łódź) skizzierten in ihrem Beitrag Das Phänomen der phatischen Funktion in Chats und Internetforen. In Anknüpfung an Jakobson beschäftigten sich Witorek und Żukovska mit der Frage der phatischen Funktion (Kontaktusuche und Kontakthalten) der Diskussionsforen im Internet.

 In der Sektion Literatur – Körper – Gattung wurde der Bereich der Literaturwissenschaften mit naturwissenschaftlichen Aspekten verknüpft. Stephanie Bölts (Köln) fragte in ihrem Beitrag Sprachen des Leidens. Zum Verhältnis von Literatur und Medizin um 1800 aus gattungsspezifischer Perspektive nach gattungsspezifischen, sprachlichen Figurationen von Krankheit, die sie in ihrer Dissertation analysiert. Hintergrund der Fragestellung war eine kulturhistorisch ausgerichtete Literaturwissenschaft in der eine Poetologie des Wissens das „Auftauchen neuer Wissensobjekte und Erkenntnisbereiche zugleich als Form ihrer Inszenierung“  begreift. Im Zuge dessen wurde ein verstärktes Interesse an Darstellungsaspekten von „Wissen“ formuliert und dabei auch die „Ergänzung und Ausweitung von Gattungsbegriffen“ als Forschungsperspektive benannt.

So wie im letzten Jahrgang fanden die Beiträge der Konstanzer Doktorandinnen Anette Wirth und Sarah Iseler einen sehr positiven Widerhall beim Publikum. Wirth ging in ihrem Beitrag Wenn der Mensch zum Tier wird – Lebensformen der Zukunft in Diethmar Daths „Die Abschaffung der Arten“ der Frage nach, wie sich im Gefolge des Krisenszenarios (Klimawandel und Artensterben) ein neues Verständnis vom Menschen und seiner Beziehung zu anderen Spezies etabliert. Verbunden mit im Daths Roman aufgemachten Szenario seien zweierlei Implikationen: zum einen die Relativierung der Spezies Mensch und ihrer, wie es im Text heißt, „fiktiven Überlegenheit“  gegenüber anderen Spezies, zum anderen die Durchstreichung des überkommenen Artenbegriffs. Daths Text übersetzt das schöpferische Potenzial gentechnologischer Erkenntnisse in ein Modell, das Plastizität als wesentliches Merkmal von Leben in den Vordergrund rückt und damit jegliche Definition von Art obsolet macht.

Iseler setzte sich in ihrem Vortrag „Perspektive Klon“ als transmediales Erlebnis bei Michel Houllebecqs Roman „Die Möglichkeit einer Insel“ und Duncan Jones´ Film „Moon“ mit der Frage auseinander, wie sich im Fall des Kollektivsymbols „Klon“ transmediale Narrative und Kollektivsymbole beschreiben lassen. Sie ging dabei von der Grundannahme aus, dass die Forschungsdiskussionen zu Science Fiction und Postmoderne seit jeher miteinander verwoben sind. Hierbei orientiere sie sich an Ihab Hassans Zugang zur Postmoderne, der nicht beansprucht eine endgültige Definition oder Abgrenzung zur Moderne zu finden, sondern versucht Postmoderne durch Begriffe, wie „Hybridität“, „Fragmentarisierung“ oder „Karnevalisierung“ greifbar zu machen.

Die parallel verlaufende Sektion Probleme des Übersetzens konzentrierte sich auf translatologische Fragen. Lenka Masárová (Banská Bystrica) beschäftigte sich in ihrem Beitrag Soziologische Aspekte der Qualitätsbewertung von Übersetzungsdienstleistungen seitens des Auftraggebers mit der Komparation der qualitativen Faktoren der Übersetzung in zwei dichotomen Kontexten – im akademischen Bereich und in der Übersetzungspraxis. Die Zentralbegriffe für diese Untersuchung waren dabei „Qualitätsbestimmung“, „Qualitätssicherung“ und „Übersetzungskritik“.

Marta Wylot (Łódź) berichtete in ihrem Beitrag Die Sprache der Börse – eine deutsch-polnische Kontrastivstudie über die Ergebnisse ihrer komparativen Analyse der Börsensprache, zu denen sie bisher im Rahmen ihres Dissertationsprojekts gelangte.

Ketevan Shekiladze (Tbilisi) bot in seiner Präsentation Die Zusammensetzung als Mittel zur Manifestation des Fachwissens in juristischen Texten (am Beispiel von deutsch-georgischen Rechtstexten) einen Blick in die sprachlichen Eigenschaften der Rechtssprache.

Nach den Freitag-Vorträgen nutzten viele Studierende die Gelegenheit, am Abend an der Autorenlesung aus den Büchern Tatar mit Veilchen und Fifi poppt den Elch von Jaromír Konečný im Goethe-Institut teilzunehmen.

Zweiter Teil der Tagung (Samstag)

Der zweite Tag der PRAGESTT-Konferenz eröffnete mit einer regional orientierten literaturwissenschaftlichen Sektion: Deutsche – Tschechen: Konflikte und Kontakte. In ihrem Beitrag Wie sind Blumen zu „lesen“: Über damaliges Sammeln und heutiges Verstehen von Blumenlesen skizzierte Alena Jakubcová (Praha) die Bedeutung der sog. Blumenlesen, einer modischen Gattung der Aufklärung, des Biedermeier und Vormärz, als eine wichtige Quelle für die Erfahrung der zeitgemäßen Sprache der Literatur. Die Blumenlesen, die auch zweisprachig (deutsch-tschechisch) erschienen, stellen einen wichtigen Beleg des deutsch-tschechischen Kulturtransfers im böhmischen Raum dar.

Der Beitrag von Martin Vavroušek (Praha) Daniel Uffo Horn – der engagierte Dichter war ebenfalls kulturwissenschaftlich orientiert. Er fokussierte darin das Werk und die politischen Aktivitäten von Daniel Uffo Horn (1817 – 1860), eines engagierten Dichters und Freiheitskämpfers. Sowohl das Werk als auch die Person Horns werden noch heutzutage sehr einseitig interpretiert: Horn wird als eine innerlich gespaltene Person wahrgenommen, die plötzlich von der tschechischen zur deutschen Seite wechselte. Vavroušek ist es in seinem Beitrag gelungen, das Werk und die Person Horns in komplexen Zusammenhängen darzustellen.

Marta Škubalová (Praha) ging in ihrem Vortrag Transfer der tschechischen Deutschen in den Texten von Olga Barényi und Josef Mühlberger der Frage nach, wie die Vertreibung der Sudetendeutschen aus der Tschechoslowakei im Roman Prager Totentanz (Barényi) und der Novelle Der Galgen im Weinberg (Mühlberger) dargestellt wird. Sie hat dabei die erzählerischen Verfahren und Darstellungsweisen des Transfers in den zwei Texten miteinander verglichen.

In der Sektion Probleme des Übertragens: Metaphern betrachtete Kamil Łuczak (Łódź) in seinem Beitrag Kenning und Kognitionsmetapher. Versuch eines kontrastiv angelegten Vergleichs das Kenning-Phänomen (benutzt in der Alliterationslyrik) als Kognitionsmetapher laut der Theorie von Lakoff / Johnson. Dabei wurden Beispiele aus mittelalterlichen Texten (u.a. Das Nibelungenlied, Das Hildebrandslied) verwendet.

Der Titel des Beitrags sowie der geplanten Dissertation von Rita Iványi-Szabó (Budapest) lautete Textkonstituierende Metaphern in Hugo von Hofmannsthals Reisetexten. Iványi-Szabó analysierte, mit welchen Methoden die Hofmannsthal’sche Reise-Texte die vor allem visuellen Eindrücke zu fixieren versuchen, und an welchen Textstellen wird offensichtlich, dass die visuellen Eindrücke genuin sprachlich determiniert sind.

Anita Kázmérová (Trnava) deutete in ihrer Präsentation Europa unter der Lupe. Kontrastive Analyse von adjektivischen Kollokationen mit geografischer Basis auf die Komplexität der theoretischen und praktischen Probleme der lexikographischen Aufarbeitung von Kollokationen im Allgemeinen und der deonymischen Kollokationen mit geographischer Basis im Besonderen hin. Die wissenschaftliche Aufmerksamkeit gehörte dabei den von den europäischen Ländernamen und Nationen gebildeten Adjektiven. Im Zentrum der Interesse war das Kombinierungspotenzial der ausgewählten Adjektiven in der Beziehung zu ihrem Kollokator. Dabei wurde auf der textuellen Ebene auf die Elemente hingewiesen, die den deonymischen adjektivischen Kollokationen eine konnotative Bedeutung verschaffen.

In der Sektion Gedächtnis: Trauma und Medien konzentrierte sich Wiktoria Wojtyra (Toruń) in ihrem Beitrag Das Konzept des Postgedächtnisses und seine ethische Dimension im Zusammenhang mit Bildern und Fotografie im Schaffen von W. G. Sebald auf das Konzept des Postgedächtnisses, das ihrer Ansicht nach W.G. Sebald in seinem literarischen Werk benutzte und dem Leser dessen Konstruktionscharakter vor Augen führte. Die Gedächtnisübermittlung eröffnet laut Wojtyra die Frage nach dem Raum zwischen Repräsentation und Rezipient und zwischen Interpretation und Fokalisation durch den Betrachter.

Im Fokus des Beitrags Das Tagebuch von Anne Frank und weitere Zeugnisse der Kinder aus dem zweiten Weltkrieg von Tereza Šimečková (Praha) war die Analyse der Holocausterfahrungen aus der Kinderperspektive. Das Tagebuch von Anne Frank bildete die Basis für den Vergleich mit den – ebenso authentischen – Tagebüchern und Notizen von anderen jüdischen Mädchen.

Lenka Pučalíková (Praha) behandelte in ihrem Beitrag Generation und Gedächtnis in Familiengesprächen über die nationalsozialistische Ära unter Anwendung kulturwissenschaftlicher und sozialpsychologischer Ansätze drei deutsche Gegenwartsromane (Tanja Dückers: Himmelskörper; Uwe Timm: Am Beispiel meines Bruders; Günther Grass: Im Krebsgang) über die intergenerationelle Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit im Rahmen der Familie.

Die ersten zwei Beiträge in der Sektion Zwischen den Kulturen waren regional an den böhmischen bzw. mährischen Raum angebunden.  Alžběta Peštová (Olomouc) beschäftigte sich in ihrem Beitrag Eugen Schick als Vermittler der Moderne in Mähren mit der Persönlichkeit und Rolle des Brünner Schriftstellers Eugen Schick (1877-1909), der zu dem Umfeld von Autoren aus Mähren, Böhmen und Schlesien gehört, die üblicherweise unter den Begriff „Provinzliteratur“ eingeordnet werden und im Vergleich zu der Prager deutschen Literatur bisher nicht genug Beachtung fanden. Der Beitrag berührte neben der Vorstellung der wenigen, dennoch vielfältigen Texten Schicks auch eines der gängigen, mit der mährischen „Provinzliteratur“ häufig verbundenen Klischees, das die Schriftsteller aus dieser Region als bloße Epigonen der deutschen und österreichischen Literatur bezeichnet.

 In ihrem Vortrag Das Subjekt im Spannungsfeld zwischen Individuum und Kollektiv. Spezifika des deutschböhmischen und deutschmährischen Romane der Zwischenkriegszeit fasste Kristina Lahl (Köln) die heterogene deutschböhmische und deutschmährische Literaturlandschaft vergleichend und zusammenfassend als ein eigenständiges ‚Literatursystem‘ auf, das sich in wesentlichen Punkten von demjenigen in der Weimarer Republik oder im Wien der 20er Jahre unterscheidet. Im Vortrag wurde eine kurze Thematisierung und Neuevaluierung der auf der 'Weltfreunde'-Konferenz in  Liblice festgeschriebenen Kategorisierungen in eine ‚sudetendeutsche‘ und eine ‚Prager deutsche‘ Literatur vorgenommen. Des Weiteren wurden einige Spezifika des deutschböhmischen und deutschmährischen Romans  vorgestellt. Dies wurde dann an einigen literarischen Texten (z.B. Gottfried Rothackers Das Dorf an der Grenze) aufgezeigt, indem anhand der Analyse von Topoi, Stil und Form demonstriert wurde, inwiefern die jeweiligen Romane trotz ihrer Eigenständigkeit einen integralen Teil der Literaturlandschaft darstellen.

In der Sektion sprach zuletzt Ewa Winek (Toruń) über Fanny Lewald (1811-1889) – preußische Individualistin, Emanze und Schriftstellerin.

In der ersten Sektion des Nachmittagsblocks Philosophie – Sprache – Ästhetik skizzierte zunächst Markéta Balcarová (Praha) Fichtes Auffassung der Sprache in den Reden an die deutsche Nation. Laut Balcarová steht Fichtes Sprachverständnis einerseits in der Tradition der romantischen Sprachauffassungen, andererseits weist zugleich über diese durch eigenständige Erkenntnisse hinaus.

Olga Richterová (Praha) ging in ihrem Beitrag Kann Herders Abhandlung über den Ursprung der Sprache für die heutige Linguistik noch inspirierend sein? Ein Vergleich mit den zeitgenössischen Konzepten des Sprachursprungs und der Sprachentwicklung mit besonderer Hinsicht auf Grammatikalisierung der Frage nach, wo die Sprache, das vielleicht wichtigste Merkmal des Mensch-Seins, überhaupt herkommt, und inwieweit Herders Abhandlung über den Ursprung der Sprache (1772) in der Gegenwart immer noch aussagekräftig ist.

Thomas Assinger und Sergej Seitz (Wien) setzten sich in ihrem Beitrag Wahrheit des Kunstwerks – Kunstwerk der Wahrheit. Zur theoretischen Erfassung ästhetischer Erfahrung mit der Frage auseinander, wie das Verhältnis von (Literatur-)Theorie und ästhetischer Erfahrung zu denken ist. Sie fokussierten die Tatsache, dass der theoretische Bezug auf ästhetische Erfahrung Philosophie sowie Literaturtheorie vor das Problem stellt, die Wahrheit eines „metaphorischen“ Bereichs in „begriffliche“ Sprache zu übersetzen. Der Vortrag von Assinger und Seitz rief eine rege Diskussion hervor, an der allerdings wegen der hohen theoretischen Ansprüche des Vortrags fast ausschließlich nur die anwesenden Dozenten teilnehmen konnten.

In der Sektion Literatur – Stadt – Raum fokussierte Šárka Ledinská (Praha) die Poetik des Raumes in Märchen der Gebrüder Grimm und in acht ausgewählten Märchen von Karel Jaromír Erben. Sie skizzierte dabei auch den Entwurf ihrer eigenen raumbezogenen Termini (Top – Topon – Toponom).

Karolina Blaszczyk (Łódź) untersuchte in ihrem Beitrag Die Symbolik des Raumes im „Proceß“ von Franz Kafka, gezeigt am Beispiel des Kapitels „Im Dom“ die Raumentwürfe in dem genannten Text.

Charel Braconnier (Köln) skizzierte in seinem Beitrag Prag im Spätwerk Libuše Moníkovás seine Analyse der Prag-Darstellung im 1996 erschienenen Romans Verklärte Nacht sowie dem Romanfragment Der Taumel. Neben der individuellen Perspektive der Autorin auf die Stadt spielt auch das kollektive Erinnern eine wichtige Rolle in den Prag-Darstellungen - der literarische Stadtraum wird zum Ausgangspunkt für Reflexionen zu den historischen Ereignissen der Nachkriegszeit bis in die frühen neunziger Jahre kurz nach der Wendezeit. Darüber hinaus zeigen Moníkovás Prag-Bilder laut Braconnier ebenfalls einige phantastische Elemente auf und lassen sich anhand verschiedener intertextueller Referenzen in Bezug auf die Prager (deutsche) Literatur des frühen 20. Jahrhunderts lesen.

Die letzte Sektion der Tagung Didaktik: Themen und Tendenzen war DaF-Themenbereichen gewidmet. Pavel Zlatníček (Brno) präsentierte in seinem Beitrag Qualität des Fremdsprachenunterrichts – Präsentation des neuen Beobachtungsinstruments ein neues Instrument zur Beurteilung der Qualität des Fremdsprachenunterrichts, das voraussichtlich für eine Forschung der Fremdsprachenunterrichtsqualität im Frühjahr 2012 zur Verfügung stehen sollte.

Zdeněk Vávra (Praha – Plzeň) ging in seinem Vortrag Umweltthemen im Deutschunterricht von der These aus,dass der umeweltorientierte Fremdsprachenunterricht eine optimale Grundlage für die Entwicklung des analytischen und synthetischen Lesens und Denkens, für die Förderung des autonomen Lernens und für den Aufbau der Kompetenzen nach dem Rahmenbildungsprogramm und dem Europäischen Sprachportfolio darstellt.

Ylva Schwinghammer (Graz) bot in ihrem Beitrag Das Mittelalter als Faszinorum oder Marginalie? MIDU: Eine länderübergreifene Erhebung zur Mittelaldidaktik im muttersprachlichen Deutschunterricht einen Überblick über die wichtigsten Ergebnisse und Erkenntnisse der MIDU-Studie, einer großangelegten empirischen Untersuchung in Österreich, Deutschland und der deutschsprachigen Schweiz, die sich zum Ziel setzt, u. a. zu klären, inwieweit mediävistische Inhalte bereits erfolgreich aus dem muttersprachlichen Deutschunterricht verdrängt wurden und wie Lehrer/innen und künftige Lehrer/innen (d. h. Lehramtsstudent/inn/en) ihre Relevanz im Diskurs um Lehrplanausrichtungen auch abseits von materiellen Bildungskonzepten, Kompetenzerwerb und neuen Unterrichtsformen beurteilen.

Fazit

In den Abschlussworten von Mgr. Petr Píša, Dr. Vít Dovalil und Prof. Manfred Weinberg wurde festgestellt, dass PRAGESTT-Konferenz ihre Aufgabe, nämlich eine internationale Platform zum Gedankenaustausch für Germanistik-Studierende anzubieten, sehr erfolgreich erfüllte. Die Studierenden aus verschiedenen Ländern Europas haben die Gelegenheit, ihre Projekte (Bachelor-, Magister- und Dissertationsarbeiten) vor dem internationalen Publikum zu präsentieren, ausgiebig genutzt. Prof. Weinberg quittierte vor allem die Tatsache, dass viele der Vorträge kulturwissenschaftlich orientiert waren, und somit die Trends in den gegenwärtigen Literaturwissenschaften reflektierten. Das anspruchsvolle Niveau der meisten Beiträge und die aktive Teilnahme der Studierenden an den Diskussionen zeigen, dass die PRAGESTT-Konferenz als eine bedeutende Germanistik-Studierenden-Tagung im europäischen Raum sich langsam etabliert.